Mahnwort von Karl Ballmer

Mit der Entfesselung der «Atomenergie» wurden die ersten Schritte auf ein bisher unbetretenes Feld der Menschenzukunft getan. Kein Gott wird die Menschen künftig daran hindern können, eines Tages unsern werten Erdball in die Luft zu sprengen, falls sie es wollen. Diese Überlegung kann uns Ansporn sein, über das Verhältnis von menschlicher Freiheit und menschlicher Verantwortlichkeit neue Gedanken zu denken. Es ist in die Freiheit der kommenden Menschen gestellt, von den entfesselten Kräften des Weltalls jeden beliebigen Gebrauch zu machen. Niemand ist da, der ihnen diese Freiheit streitig machen könnte. Niemand als die Menschen selbst. Im Besitze solcher Freiheit werden die zukünftigen Menschen mit Mitleid auf ihre primitiven Väter und Vorväter herabblicken, die ihre Freiheit in treuem Kinderglauben an einen außermenschlichen lieben Gott abgetreten hatten. An der entfesselten Freiheit wird die Gefährlichkeit und das Risiko der Freiheit ermessen werden. Es wird nicht an kühnen Einsichtigen fehlen, die ihre Freiheit in Verantwortlichkeit verwandeln werden. Sie werden sagen: Wenn im weiten Weltall einzig der Mensch über die Freiheit verfügt, der Existenz einen Sinn und ein Ziel zu erschaffen, dann haben wir uns zu Verantwortlichen des Sinnes und des Zieles zu machen. Das Schicksal der Erde hängt buchstäblich an unserer freien Verantwortungsfähigkeit. Wir haben Abschied zu nehmen von lieben alten Illusionen: wir dürfen nicht mehr einem erträumten außermenschlichen Prinzip Verantwortlichkeiten aufbürden, die wir selbst zu übernehmen haben. Die in der Weltmaterie schlummernden Kräfte sind unsere Kräfte. Unser sind diese Kräfte, weil außer uns weit und breit niemand da ist, die Verantwortlichkeit für diese Kräfte zu übernehmen. Wir sind als Bewohner des Erdballs nicht beliebige Fremdlinge und Zuschauer, wir stehen mit unserem eigensten innersten Wesen und Wollen im Existenzkerne der Welt selbst. Diese Einsicht kann uns von keiner «Logik» bewiesen werden und sie braucht uns auch nicht bewiesen zu werden, denn sie ist die freie Tat und Entscheidung unserer Verantwortungsfähigkeit. – – –

Aus: Karl Ballmer, Wissenschaft, Verlag Fornasella, Besazio. Erstmals erschienen im Schweizer «Freidenker» am 1. Dezember 1946.

Der Text wurde vollständig abgedruckt in AGORA 1-2020. Digital zu beziehen über www.agora-magazin.ch (Printversion
ist vergriffen). Als Einzeldruck zu beziehen bei www.fornasella.de