AGORA OKTOBER / NOVEMBER 2019
BRIEFWECHSEL MIT AGNES KERN (III.)
Eine um philosophische und ästhetische Einsichten ringende junge Frau, die das Glück hat, Karl Ballmer zu kennen, und den Mut, ihm zu schreiben, war ein Anlass mehr dafür, dass so einzigartige als notwendige Aufwachmomente aus Ballmers Feder flossen, die uns aus vielfältigen anthroposphischen Träumen reissen. (Wenn wir es zulassen.) Diesmal zu Schillers Ethik und dem Verhältnis des Idealismus zur Anthroposophie.
GESUNDHEITS- UND KRANKHEITSFRAGEN
Im dritten Vortrag über die «Offenbarungen des Karma»(GA 120) bahnt Rudolf Steiner einen Weg zu einem differenzierten Verständnis von Krankheit und Gesundheit. Er beginnt beim Mineralreich, das keine Krankheit kennt, und erläutert nach und nach das Wesen der Erkrankungen und die zu berücksichtigenden Unterschiede bis hinauf ins Menschenreich. Durch die subtilen Unterscheidungen ist auch quasi beiläufig eine erste Grundlage zum Verständnis von pflanzlichen und potenzierten Heilmitteln entstanden. Wer diese Gedankengänge mitverfolgt, kann mit Erschrecken feststellen, wie alle üblichen Erklärungsversuche über die Wirkensweise der Homöopathie grobklotzig und vollkommen unzureichend bleiben müssen. Diese Mentalität, alles einfach und «auf einen Hieb» den Menschen klar machen zu wollen, führt zu verhängnisvollen Folgen, wie etwa heute der Wendung der jungen Grünen in Deutschland gegen die Homöopathie, oder es führt auch zu unnötiger Parteienbildung zwischen Schul- und Alternativmedizinern. Was allenthalben zu wenig deutlich gemacht wird und im Verlauf dieses Vortrages fast handgreiflich erlebt werden kann: Ein wirkliches Verständnis kann nur sorgfältig denkend durch fein säuberliche Unterscheidungen – eben goetheanistisch-geisteswissenschaftlich – erarbeitet werden.
WALDORF 100: WELTMACHT KIND
Blankertz blickt der Situation des 100-Jahr- «Jubiläums» der Waldorfschule direkt ins Gesicht (mit Schiller: «Stirne gegen Stirn …») und nennt beim Namen, was beim Namen zu nennen ist. Der Handungsbedarf in den Waldorfgefilden leuchtet auf. Die ausserordentliche Liebefähigkeit zur «Weltmacht Kind», die darinnen mitschwingt, bewirkt, dass der Leser dahin mitgenommen wird, wo eine neu zu erringende Vertiefung in Bezug auf das «Wie» einer wirklichen Pädagogik erreicht werden kann.
LEHRPLAN 21 – EIN MODERNES MENETEKEL?
Johannes Kartje regt an, Parallelen zwischen der Geschichte von Belsazar und Daniel mit dem Menetekel, aus dem alten Testament, und der Situation der Steinerschulen zu suchen. Die Darstellung und Interpretation ist bewusst offenlassend. Kartje geht dann auf den Umgang mit dem Lehrplan 21 ein und hält einigen Fakten bezüglich der Entstehung und den Forderungen des Lehrplans 21 entgegen, was aus der Anthroposophie gewusst werden kann. Aus diesen sachlichen Auseinandersetzungen heraus wird die Inkompatibilität des Lehrplans 21 mit der Waldorfpädagogik scharf ins Bewusstsein gerückt.
CHRISTIAN CLEMENTS GELEHRTE INKOMPETENZEN
Vor einigen Jahren wurde der Rudolf Steiner Verlag für seine Kooperation in Sachen «SKA» – Steiner-Kritische-Ausgabe von Christian Clement – mit dem Frommann-Holzboog-Verlag heftig angegriffen. Die an den universitären Standards orientierten wissenschaftlichen Editionen Clements laufen weiter. Nach und nach gibt Clement die Werke Steiners neu heraus, versehen mit Einleitungen, Kommentaren, Fussnoten – dem ganzen «Apparat», und der Rudolf Steiner Verlag scheint nach wie vor vom Sinn dieser Zusammenarbeit und dem Vertrieb des Machwerks Clements überzeugt zu sein. Auch von Seiten des Goetheanum wird Clement nichts entgegengestellt – im Gegenteil, man sucht den Dialog, ist «offen», glaubt Clements Fleisswerk schätzen und loben zu müssen und streut Asche auf die Häupter in den eigenen Reihen, weil sie es bisher nicht zustande gebracht haben, selber eine «wissenschaftliche Ausgabe» Steiners zu erarbeiten. Sie begrüssen Clement als den Retter, der Steiner endlich den akademischen Standard angedeihen lässt. Retter? Wenige haben einen Blick in diese Editionen geworfen, noch weniger haben sich mit dem Inhalt auch auseinandergesetzt. Man vertraut den Vorständen, Verlagsleitern: sie werden schon wissen, was sie tun – ? Ein Blick in die SKA lässt einen innerlich erstarren. Die von Maria Dörig ausgewählten Textstellen sprechen für sich; zusammen mit ihrer Diagnose Clements und der Zitatanalyse von Iris-Astrid Seiler muss am Geisteszustand der offizell führenden Kräfte der anthroposophischen Gesellschaft gezweifelt werden. Was Clement tut, hat er selbst zu verantworten. Aber wie von Seiten der anthroposophischen Gesellschaft damit umgegangen wird, ist massgeblich dafür, ob sie der Berechtigung, das Geistesgut Steiners zu verwalten, noch für würdig erachtet werden kann. Diese Frage drängt sich unweigerlich auf nach den beiden Beiträgen auf Seite 20 u. 24.
DER LETZTE HEILIGE RUSSLANDS
Der letzte Heilige Russlands ist – wem es im Westen nicht bekannt ist – der Starez Seraphim von Sarow (1759-1833). Autoren unterschiedlichster Geistesart wurden zu Zeugen der «letzten seraphischen Erscheinung an der Schwelle des eintretenden Äons der Finsertenis und – Spinnentaubheit». Zu dem Buch, das den selben Titel trägt wie dieser Beitrag, verfasste Karen Swassjan im Jahr 1993 das hier nochmals abgedruckte Vorwort. Im Buch kommen die vier Zeugen zu Worte: Wassili Rosanow, Dmitri Mereschkowski, Margarita Woloschina und Maximilian Woloschin. Die vier russischen Autoren leben, durch Karen Swassjan erforscht, in ihrer jeweils individuellen Geistesart im Leser auf.
ALEXANDER PUSCHKIN UND DIE SOZIALE DREIGLIEDERUNG
Tatiana Koshemchuk stellt uns den russischen Nationaldichter Puschkin in seiner freien Denkweise vor, in seinen Ideen, die sich nicht von Konventionen einengen lassen – etwa das Soziale und Indiviuelle betreffend, wo er individuelle Freiheit scharf unterscheidet von gewissen politischen Freiheiten, die er sogar geringschätzt. Das führt zu philologischen Knacknüssen, welche mit Hilfe anthroposophischer Kenntnisse verstanden werden können. Die durch Steiner später beschriebene Gliederung des sozialen Organismus zeigt die Adäquanz und Weitsicht von Puschkins Ideen, insbesondere bei seiner nachdrücklichen Unterscheidung von Geistes- und Rechtsleben.
BUCHBESPRECHUNG: MARTIN BARKHOFF, KULMINATION, GRAB UND GOLDENE ZEIT DER ANTHROPOSOPHIE
Martin Barkoff veröffentlichte eine Sammlung von Aufsätzen zuhanden anthroposophisch Bewegter, welchen die Zukunft der Anthroposophie am Herzen liegt. Er geht Fragen nach wie der von Steiner vorausgesagte Kulmination der anthroposophischen Bewegung am Ende des abgelaufenen Jahrtausends, Fragen auch nach dem Umgang mit Steiner in anthroposophischen Tochterbewegungen – Rüdiger Blankertz hat sich mit dem Buch befasst.
RUSSLAND-TAGEBUCH V.
Die letzte Episode des Russland-Tagebuchs führt in eine dem Russischen, wie es bisher wahrgenommen wurde, ganz fremde Umgebung, in einen modernsten, futuristischen Stadtteil. Dem Peterhof, dem Versailles Russlands gegenübergestellt, scheinen die krassesten Gegensätze auf.
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!